Archive for the ‘Gedichte’ Category

Im Schnee, Keller

Freitag, Dezember 8th, 2023

Zum 08. Kalendertürchen

Wie naht das finster türmende
Gewölk so schwarz und schwer!
Wie jagt der Wind, der stürmende,
Das Schneegestöber her!

Verschwunden ist die blühende
Und grüne Weltgestalt;
Es eilt der Fuß, der fliehende,
Im Schneefeld naß und kalt.

Wohl dem, der nun zufrieden ist
Und innerlich sich kennt!
Dem warm ein Herz beschieden ist,
Das heimlich loht und brennt!

Wo, traulich sich dran schmiegend, es
Die wache Seele schürt,
Ein perlend, nie versiegendes

Gottfried Keller (1819-1890)

Allein in der Kälte_1024

Allein in der Kälte im Januar 2009 bei -8 Grad

Eisnacht

Donnerstag, Dezember 7th, 2023

Zum 07. Kalendertürchen

Wie in Seide ein Königskind
schläft die Erde in lauter Schnee,
blauer Mondscheinzauber spinnt
schimmernd über der See.

Aus den Wassern der Raureif steigt,
Büsche und Bäume atmen kaum:
durch die Nacht, die erschauernd schweigt,
schreitet ein glitzernder Traum.

Clara Müller-Jahnke (1860-1905)

Eisnacht

Eisnacht, Bild ist KI-generiert

Die zwei Wurzeln

Dienstag, Dezember 5th, 2023

Zwei Tannenwurzeln groß und alt
unterhalten sich im Wald.
Was droben in den Wipfeln rauscht,
das wird hier unten ausgetauscht.
Ein altes Eichhorn sitzt dabei
und strickt wohl Strümpfe für die zwei.
Die eine sagt knig,
die andere sagt knag.
Das ist genug für einen Tag.

Christian Morgenstern (1871-1914)

Ein altes Eichhorn sitzt dabei und strickt wohl Strümpfe für die zwei.

Ein altes Eichhorn sitzt dabei
und strickt wohl Strümpfe für die zwei.

Der Seufzer, Morgenstern

Montag, Dezember 4th, 2023

Zum 04. Kalendertürchen

Der Seufzer
von Christian Morgenstern (1871-1914)

Ein Seufzer lief Schlittschuh auf nächtlichem Eis
und träumte von Liebe und Freude.
Es war an dem Stadtwall, und schneeweiß
glänzten die Stadtwallgebäude.

Der Seufzer dacht an ein Maidelein
und blieb erglühend stehen.
Da schmolz die Eisbahn unter ihm ein –
und er sank – und ward nimmer gesehen.

Outdoor ice skating in Austria

Outdoor ice skating in Austria – Kafubra CC @ Presseggersee 28.12.2003

Der Weihnachtsstern

Samstag, Dezember 2nd, 2023

Zum 02. Kalendertürchen

Von Osten strahlt ein Stern herein
mit wunderbarem hellem Schein,
es naht, es naht ein himmlisches Licht,
das sich in tausend Strahlen bricht!

Ihr Sternlein auf dem dunklen Blau,
die all ihr schmückt des Himmels Bau
zieht euch zurück vor diesem Schein.
Ihr werdet alle winzig klein!
Verbergt euch, Sonnenlicht und Mond,
die ihr so stolz am Himmel thront!
Er naht, er naht sich von fern –
von Osten her – der Weihnachtsstern!

Franz von Pocci (1807-1876)

Winterlandschaft – KI

Stille Winterstraße, Ringelnatz

Freitag, Dezember 1st, 2023

Zum 01. Kalendertürchen

Stille Winterstraße
von Joachim Ringelnatz (1883-1934)

Es heben sich vernebelt braun
Die Berge aus dem klaren Weiß,
Und aus dem Weiß ragt braun ein Zaun,
Steht eine Stange wie ein Steiß.

Ein Rabe fliegt, so schwarz und scharf,
Wie ihn kein Maler malen darf,
Wenn er’s nicht etwas kann.
Ich stapfe einsam durch den Schnee.
Vielleicht steht links im Busch ein Reh
Und denkt: Dort geht ein Mann.

Vielleicht steht links im Busch ein Reh

Vielleicht steht links im Busch ein Reh

Schnee

Dienstag, November 29th, 2022

 

Schnee

Weiß sind die entfernt liegenden Ebenen,
und weiß werden die verblaßten Wälder.
Der Wind erstirbt längs des Gipfels.
Der Schnee fällt dicht, kaum hörbar,
sammelt seine Last auf Dächern und Bäumen.
Die Wiesen und die verstreuten Bäche
liegen lautlos da.

Wie ein gütiger Gesandter der Träume
bedeckt mich der Schnee völlig.
In Wald und Waßer, Erde und Luft liegt Stille.
Unterbrochen nur, wenn hin und wieder
ein Pferdeschlitten mit knirschenden Kufen
und durchdringendem Geläut
durch den Schnee vorwärts drängt,
an mir vorbei fährt und verschwindet.

Aus dem Nichts höre ich entfernt
und doch klar das Bellen eines Hundes erschallen,
getragen vom Widerhall aus einer Scheune am Wege.
Dann ist alles still und der Schnee senkt sich langsam und sanft.

Der Abend schreitet fort
und sein Grau verbindet Himmel und Erde.
Die Welt scheint verschleiert und weit weg entrückt.
Ihr Lärm ruht
und ich schleppe mich dumpf dahin und träume,
wie der versteckte Bach.

Archibald Lampman (1861-1899)

elsternimschnee-s.jpg
Immer wieder schön sind waren Bilder aus Chronos Wintergalerie (2010)

Ein Licht, das leuchten will

Montag, November 28th, 2022

 

Ein Licht, das leuchten will, muss sich verzehren;
Trost, Licht und Wärme spendend, stirbt es still.
Ein Licht, das leuchten will, kann nichts begehren,
als dort zu stehen, wo’s der Meister will.

Ein Licht, das leuchten will, dem muss genügen,
dass man das Licht nicht achtet, nur den Schein.
Ein Licht, das leuchten will, muss sich drein fügen,
für andre Kraft und für sich nichts zu sein.

Ein Licht, das leuchten will, darf auch nicht fragen,
ob’s vielen leuchtet oder einem nur.
Ein Licht, das leuchten will, muss Strahlen tragen,
wo man es braucht, da lässt es seine Spur.

Ein Licht, das leuchten will in Meisters Händen,
es ist ja nichts, als nur ein Widerschein;
des ew’gen Lichtes Glanz darf es uns spenden,
ein Licht, das leuchten will für Gott allein.

Hedwig von Redern (1866-1935)

Bild von Myriams-Fotos auf Pixabay