von Winfried Wolf
Am Nachmittag vor Weihnachten saß Clemens am Fenster und starrte traurig hinaus.
»Was ist los mit dir?«, fragte ich.
»Ach«, klagte er, »morgen ist Weihnachten, und es regnet und regnet! Warum schneit es nicht?«
»Weil es zu warm ist«, antwortete ich. »Wenn es kälter wäre, würde es bestimmt schneien.«
»Es hängt also von der Kälte ab, ob es schneit oder nicht?«, fragte er.
Ich nickte.
Einen Augenblick überlegte er, dann rief er fröhlich: »Na, dann machen wir es halt kalt! Wir stellen einfach unseren Kühlschrank ins Freie und machen die Tür ganz weit auf.«
»Das ist zwar ein guter Vorschlag«, sagte ich lachend, »aber das würde nicht ausreichen, leider.«
»Die Erwachsenen«, sagte Clemens heftig, »können doch sonst alles machen. Sie fliegen zum Mond und schicken uns Kinder in die Schule. Warum können sie nicht einfach bestimmen, dass es Weihnachten schneit?«
»Auf das Wetter haben die Erwachsenen keinen Einfluss«, erklärte ich. »Und es ist auch gut so. Stell dir vor, was es dann für Streitereien gäbe! Der eine möchte es warm haben, der andere kalt, und wieder ein anderer möchte gern Regen haben, damit seine Radieschen schneller wachsen.«
»Na gut«, sagte Clemens, »aber Weihnachten ohne Schnee ist Mist!«
»Ich verstehe schon«, erwiderte ich, »aber das Christkind ist auch zur Welt gekommen ohne Schnee.«
»Ist das wirklich wahr?«, staunte Clemens.
»Ja, sicher«, antwortete ich, »es ist in Palästina zur Welt gekommen, und dort ist es so warm, dass es nie oder fast nie schneit. Und viele Kinder auf der Welt feiern Weihnachten, ohne dass sie jemals Schnee gesehen hätten. Und sie freuen sich trotzdem! Weihnachten ist ja auch das Fest der Kinder. Es wird der Geburtstag eines Kindes gefeiert, und das finde ich schön an diesem Fest. Deswegen, meine ich, sollten alle Kinder an diesem Tag fröhlich sein, egal, ob es regnet oder schneit.«
»Na ja«, knurrte Clemens und stampfte davon. »Wo gehst du hin?«, rief ich hinterher.
»Auf mein Zimmer, mit dem Christkind reden!«
Von Schhnee keine Spur
Am Weihnachtsmorgen zog ich gleich die Vorhänge auf. Aber alles war Grau in Grau, von Schnee keine Spur. Armer Clemens!
Doch da kam er schon ins Schlafzimmer und rief: »Du, es hat geschneit!«
»Wo?«, fragte ich verwundert. »Ich sehe nichts.«
»Komm mal mit!«, sagte er da. Er führte mich ins Kinderzimmer. Der ganze Boden war übersät mit Papierfitzelchen, und an den Fenstern klebten unzählige Papierfetzen.
»Siehst du«, sagte Clemens stolz, »es hat doch geschneit! Hat mir das Christkind vorgeschlagen.«
»So«, sagte ich verblüfft, »das Christkind!«
»Ja«, bekräftigte er, »das stammt direkt vom Christkind!«
In diesem Jahr feierten wir Weihnachten im Kinderzimmer. Es war ganz besonders schön in dem vielen Schnee, der überhaupt nicht kalt war, und nass war er auch nicht!